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Mareia Claudia Lange

SoulrootsReflexionen

über Menschliches & Zwischenmenschliches

Körper — Psyche — Gefühle

Emotionale Intensität


Ich stelle immer wieder fest, dass viele Menschen vor emotionaler Intensität zurückschrecken. Es scheint unangenehm und anstrengend, sich mit dieser Intensität zu konfrontieren.

Für manche anderen ist es ein Ausdruck von Lebendigkeit und eine Bereicherung. Wie es empfunden wird, ist ganz subjektiv. Es hängt von der eigenen Sozialisation und Erfahrung ab und vermutlich auch von der eigenen Überzeugung bzw. Lebensphilosophie.

Angst vor Emotionen

Ich kann gut verstehen, dass es nicht jedermenschs Ding ist, sich in die tiefsten Tiefen der eigenen Emotionen zu begeben, noch dazu vielleicht auf dramatische oder kathatische Weise – sich also beispielsweise mit den eigenen Ängsten, Traurigkeiten und lang verschütteten Traumata auseinanderzusetzen. Es gibt mittlerweile genügend wissenschaftliche Hinweise darauf, dass es retraumatisierend ist, wenn alte Dramen aufgewärmt werden, dass es die bestehenden neuronalen Verschaltungen einfach noch mehr verstärkt und nicht neue Verhaltensreaktionen fördert.

Ich gehe davon aus, dass dies eine Überzeugung ist, die dazu führt, dass dafür plädiert wird, dass unangenehme Gefühle entweder nur kurz gestreift werden oder am besten ganz vermieden werden, beispielsweise durch rechtzeitige Ablenkung. Diese Überzeugung ist aber eher eine moderne Erscheinung der letzten ungefähr zehn bis fünfzehn Jahre und vor allem unter Menschen verbreitet, die sich mit Traumaforschung und Lerntheorien auseinandergesetzt haben.

Ablenkungsversuche, die eher sozialisationsbedingt getrieben sind, habe ich während meiner mehrjährigen Arbeit in Schreibabyambulanzen viele Male bei den verzweifelten Müttern/Vätern miterlebt. Das Baby schreit, manchmal stundenlang. Die Windel ist frisch, satt ist das Baby auch. Warum schreit es nur so sehr? Die Mütter/Väter wußten sich keine Erklärung. Es war unangenehm, vor allem da sie sich, verständlicherweise, hilflos fühlten. Sie probierten alles mögliche aus. Hopsen, rumschuckeln, mit dem Auto über Kopfsteinpflaster fahren, diese und jene Position, auf das Baby einreden, dass doch alles gut sei, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken… Dir fällt sicherlich auch noch etwas ein.

Auch wenn kein Baby involviert ist, sind die Menschen, die mit starken Emotionen konfrontiert sind, bei einer Person drumrum, schnell gewillt ungefragt Hilfe anzubieten, wenn nicht gar aufzudrängen. Meistens nicht, weil die betroffene Person um Hilfe bittet oder diese insgeheim wünscht, sondern weil sie, die Anbietenden, es schier nicht aushalten. Es ist wunderbar, dass der Wunsch besteht, dass es unseren Mitmenschen gut geht, sie glücklich und fröhlich sind. Und es ist verständlich, dass Menschen etwas unternehmen wollen, wenn es einer Person offensichtlich nicht so geht. Das Gleiche gilt natürlich auch für die eigene Person. Wünscht du dir nicht auch, dass dein Leben vor allem aus Hochs besteht und hoffst, dass die Tiefs möglichst bald vorbei gehen?

Das Geschenk unangenehmer Emotionen

Ich arbeite mittlerweile seit etwa 20 Jahren mit Emotionen, in jeglicher Form und in verschiedensten Intensitäten. Ich habe viele Menschen begleitet, die zunächst große Angst davor hatten, sich altem Schmerz, innerer Leere, schwarzen Löchern, der eigenen Wut oder der einer anderen Person, tiefer Traurigkeit, Verzweiflung und vielem mehr zu stellen. Ganz zu schweigen vor der Angst vor tiefer Freude und sprudelnder Kraft und Lebendigkeit. Da ich einen Raum schaffe, in dem alle Emotionen herzlich willkommen sind und ein für alle Beteiligten sicherer Rahmen zum Ausleben dieser Emotionen besteht, habe ich es unzählige Mal erlebt, wie bereichernd es ist, wenn die Angst vor der Konfrontation überwunden wird und diese Emotionen in der Tiefe erkundet und durchfühlt werden. Wenn wirklich ganz eingetaucht wurde, dann zeigte sich meist früher als später, weshalb diese unangenehme Emotion entstanden ist und welches ursprüngliche Bedürfnis nicht befriedigt worden war, welches zu dieser Emotion führte. Wenn dieses Bedürfnis in der gemeinsamen Arbeit nun nachträglich nachgeholt wurde, stellte sich in der Regel ein Gefühl von Ruhe, Frieden, Freude, Gelassenheit oder Verbundenheit her. Häufig wurde viel Energie freigesetzt, so dass sich die Person lebendiger, kraftvoller, selbstsicherer und mutiger fühlte.

Ich habe beispielsweise verschiedene Menschen begleitet, die eine unerklärliche tiefe Traurigkeit und Verzweiflung in sich spürten. Durch die gemeinsame Arbeit erlebten sie beispielsweise die eigene Schwangerschaft, Geburt oder die ersten Momente danach wieder. Sie fühlten sich durch verschiedene Umstände emotional oder real physisch getrennt von der Mutter, was Verzweiflung auslöste, da sie sich alleine gelassen fühlten, was nicht das ist, was ein Fötus oder Baby innerlich erwartet oder ersehnt.

Es besteht im Gegenteil ein tiefer natürlicher Wunsch nach Verbundenheit, emotional und körperlich.

Die Konsequenzen des Verlustes der Verbundenheit

Dieser Wunsch nach Verbundenheit ist, davon bin ich überzeugt, in jedem Menschen tief verankert. Wenn die eigene Lebenserfahrung jedoch eine andere ist, dann wird dieser Wunsch früher oder später verraten. Misstrauen, Angst, Kontrolle, verbale und physische Gewalt, Sinnlosigkeit und Abhängigkeiten in jeglicher Form sind nur einige der vielen Folgen des Verlustes von Verbundenheit – zu sich selbst und anderen.

Wenn eine Person nun in eine Situation gerät, in der sich sich emotional unangenehm berührt fühlt, wird an diesen alten Schmerz, diesen Verlust, unbewußt erinnert.

Dies ist so unangenehm, da der Schmerz so tief verankert ist und keine Hoffnung auf Wiedergutmachung zu bestehen scheint. Also lieber nicht fühlen oder nur ganz kurz und dann schnell weiter.

Die Konsequenz ist jedoch, dass dadurch die dahinterliegenden Kraftquellen ebenfalls Gefahr laufen verschüttet zu bleiben. Es wird ein Teil Lebendigkeit unterdrückt.

Lebendigkeit beinhaltet das ganze Spektrum der Gefühle.

Jedes zu seiner Zeit und in der dem Moment entsprechenden Intensität. Wird es im Moment gelebt, dann staut es sich nicht an, sondern fließt. Wenn es sich anstaut, dann wird es zu einer schwelenden Emotion, die Gehör finden möchte, was sich mit der Zeit in den verschiedensten Formen Bahn bricht – sei es durch physische oder seelische Schmerzen oder Krankheiten.

Mut zur Konfrontation

Authentische Lebendigkeit, im Moment, ist eine wunderbare Gesundheitsprävention und bereichert das Leben, da dieses farbiger, fröhlicher und freundlicher wirkt.

Ich wünsche dir, dass du zukünftig mehr Mut hast dich deinen eigenen und den Emotionen anderer zu stellen, sie gelassen als zur Lebendigkeit gehörig annimmst, und darauf vertraust, dass es sich lohnt sich mit ihnen auseinanderzusetzen, da dahinter ein Geschenk auf dich wartet, dessen Tiefe und Nachhaltigkeit dein Leben bereichert.

Ich wünsche dir viel Spaß beim ausprobieren und freue mich über Kommentare und Rückmeldungen. Nutze dafür bitte, wie auch für Fragen, das Kommentarfeld.


Montag, 1.Februar 2016

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warum ich den Blog führe

Die Arbeit mit den Menschen die ich begleite, meine Partnerschaftserfahrungen, das Tango Argentino tanzen, alltägliche Erlebnisse und meine Reisen in andere Länder regen mich besonders zur Reflexion über Menschliches und Zwischenmenschliches an.
Einige meiner Reflexionen teile ich hier.

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