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SoulrootsReflexionen
über Menschliches & Zwischenmenschliches
Körper — Psyche — Gefühle

Ich weiß nicht, was ich fühle.
Wenn ich Menschen frage, wie es ihnen geht, höre ich oft: “Gut.” Wenn ich es dann genauer wissen möchte, können das viele Leute gar nicht weiter beschreiben. Wenn ich gar frage, was sie fühlen, ist ein Großteil der Menschen überfordert. Oft fehlt einfach das Vokabular und eine Schulung der Wahrnehmung – des eigenen Körpers, des eigenen Gefühlsleben oder Innenlebens im Allgemeinen.
Manche schaffen es zu sagen, dass sie sich deprimiert fühlen, fröhlich oder lustlos. Oder wenn es in Zusammenhang mit einer anderen Person ist, dass sie sich unterdrückt, kritisiert oder unterstützt fühlen.
Der Unterschied zwischen Gefühlen und Verhaltensinterpretationen.
Die Worte die ich im Zusammenhang mit anderen Personen erwähnt habe, gelten streng genommen nicht als Gefühle, sondern als eine Interpretation des Verhaltens einer anderen Person. Um den Unterschied zu klären, ob es sich um eine Interpretation oder um ein Gefühl handelt, kann ich mir das Wort hernehmen, z.B. unterdrück oder traurig und überprüfen, ob ich sagen kann: … von/durch Person x. Wenn es möglich ist, dann ist es eine Interpretation des Verhaltens einer anderen Person. Um bei den vorgeschlagenen Worten zu bleiben: Ich fühle mich unterdrück, kritisiert oder unterstützt von meinem Gegenüber. Aber: Ich bin traurig (z.B.: weil Person x und ich uns gestritten haben). oder Ich bin fröhlich (z.B.: weil mir Person x Blumen geschenkt hat oder ich den Sonnenschein so toll finde).
Bei der Interpretation des Verhaltens einer anderen Person besteht der Eindruck, dass die andere Person einem etwas angetan hat – ob vorsätzlich oder nicht sei dahingestellt und ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Wenn klar ist, dass es sich um eine Interpretation handelt, dann ist immer noch zu erforschen, wie das eigene Gefühl ist, welches durch das Verhalten der anderen Person ausgelöst wird. Wie kann das gehen?
Wie komme ich meinen Gefühlen auf die Spur?
Um sich den eigenen Gefühlen anzunähern, ist es möglich, den eigenen Körper zu beobachten. Wie ist meine körperliche Reaktion auf das Verhalten der anderen Person? Halte ich beispielsweise den Atem an oder ist mein Atem voll? Wie ist meine Körperspannung? Angespannt oder entspannt? Ist mir kalt oder warm, fange ich vielleicht sogar an zu schwitzen? Zieht sich in mir irgendwo etwas zusammen oder wird es weiter in mir? Wie ist meine Körperhaltung? Zusammengezogen oder aufrecht? Bin ich zittrig oder ruhig? Werden meine Augen starr, unruhig, wässrig oder bleiben sie ruhig und leuchten? Diese Wahrnehmung der Körperempfindungen und sonstigen körperlichen Reaktionen schaffen mehr Bewusstheit über den eigenen Zustand. Es kann helfen, den eigenen Gefühlen auf die Spur zu kommen.
Grundgefühle
Es gibt verschiedene Grundgefühle. 4 davon haben jeweils einen Gegenpart, sozusagen eine verdunkelnde und eine licht erzeugende Seite. Diese Paare sind:
- Wut und Nähe (denn wenn der Wut auf den Grund gegangen wird, dann entsteht sie dann, wenn die Verbindung, also die Nähe, verloren ging oder gestört wurde)
- Angst und Vertrauen (wenn ich das Vertrauen verliere, dann bekomme ich Angst)
- Neid und Gunst/Wohlwollen
- Traurigkeit/Trauer und Freude
Häufig werden auch Ekel/Abscheu und/oder Schuld und Scham zu den Grundgefühlen gezählt.
Und dann gibt es natürlich noch den Hass, der hinter allen verdunkelnden Gefühlen stehen kann und das Ganze finster werden lässt.
Und natürlich ist da noch die Liebe, die alles überstrahlt.
Gefühls- und Gemütszustände
Alle anderen Gefühls- oder Gemütszustände können auf diese Grundgefühle zurückgeführt werden und sind vielen häufig leichter zugänglich, da sie beschreibender sind und manchmal auch leicht in einen Zusammenhang mit Körperempfindungen gestellt werden können.
Im Anschluss eine kleine Auswahl:
- unbehaglich, unruhig, genervt, hilflos, dumpf, irritiert, entrüstet, teilnahmslos, mutlos, schüchtern
- inspiriert, fasziniert, beschwingt, selig, neugierig, lustig, überrascht, sicher, froh, aufgeregt
Das Gefühl hinter einer Verhaltensinterpretation
Wie komme ich nun konkret dem Gefühl hinter einer Verhaltensinterpretation auf die Spur? Nehmen wir uns wieder eines der oben erwähnten Begriffe. Z.B.: unterdrückt. Ich lade dich als Leser*in nun ein, dir eine Situation vorzustellen, in der du dich unterdrückt gefühlt hast bzw. den Eindruck hattest unterdrückt zu werden. Wie reagiert dein Körper darauf? Es könnte sein, dass es eng wird in deiner Brust, der Atem flach wird und du wie gelähmt bist. Oder auch, dass sich dein Atem beschleunigt, sich dein Bauch verkrampft und dann anfängt zu brodeln, du puterrot anläufst und sich dein Körper anspannt. Welches Gefühl verbirgt sich wohl hinter der ersten Beschreibung und welches hinter der zweiten? Fühlst du es? Ich meine, hinter der ersten Beschreibung verbirgt sich Angst und hinter der zweiten Wut.
Die Bedeutung der eigenen Bedürfnisse und der persönlichen Geschichte
Welche Reaktion ausgelöst wird, hat mit dem Bedürfnis zu tun, welches du meinst was nicht beachtet oder genährt wird. Wenn du meinst unterdrückt zu werden, kann es sein, dass dein Bedürfnis nach einer liebevollen und aufmerksamen Behandlung nicht beachtet wird, was dich vielleicht einschüchtert und dir Angst macht. Vielleicht schüchtert es dich ein, weil du das in deiner Kindheit oft erlebt hast und diese Erinnerung durch das Verhalten deines Gegenübers wachgerufen wird. Es kann aber auch sein, dass dein Bedürfnis danach gleichberechtigt Gehör zu finden oder dein Bedürfnis, dass dein persönlicher körperlicher Raum respektiert wird missachtet wird und du dich deshalb unterdrück fühlst. Vielleicht löst das bei dir Wut aus. Wenn es dir ein Bedürfnis ist, dass du von einer anderen Person umsorgt wirst, beispielsweise in dem sie für dich kocht oder dir eine Decke bringt, wenn dir kalt ist, dann wird das vermutlich Freue auslösen und vielleicht für mehr Verbundenheit, also Nähe sorgen, wenn eine Person dies für dich tut. Vielleicht fühlst du dich dadurch sogar geliebt. Wie Missachtungen oder Beachtungen der eigenen Bedürfnisse interpretiert werden, hat mit der eigenen Geschichte zu tun, also den Erfahrungen, die du in der Vergangenheit gemacht hast. Und auch weshalb dir bestimmte Verhaltensweisen ein wichtiges Bedürfnis oder Anliegen sind, ergibt sich aus deiner persönlichen Geschichte.
Wenn du also das nächste Mal gefragt wird, was du fühlst, dann nimm dir doch einen Moment Zeit, nimm dich wahr und antworte erst dann. Vielleicht bleibt es dann nicht bei einem gut, sondern du kannst es genauer benennen und weißt für dich auch warum bzw. kannst beschreiben, was genau du damit meinst.
Ich bin gespannt, was du berichtest, über deine Erkundungsreise zu deinen Gefühlen.
Über Kommentare und Fragen freue ich mich wie immer. Nutze das Kommentarfeld rechts neben diesem Blogpost. Und wenn dir der Artikel gefällt, dann teile ihn gerne. Vielleicht ist es ja genau das, was jemand anderes gerade braucht.